Stellungnahme des Fördervereins Ortenau-Klinikum Oberkirch

Zum Konzept: „Gute Gesundheitsversorgung für die Region Oberkirch-Renchtal“
Konzept zur Weiterentwicklung des Ortenau Klinikums Achern-Oberkirch, Betriebsstelle Oberkirch, zum „Zentrum für Gesundheit Oberkirch“
vorgelegt im Gesundheits- und Klinik-Ausschuss am 20. Oktober 2020
Hier das Konzept als PDF

Bitte um eingehende Prüfung und Konkretisierung des von Geschäftsführer Christian
Keller vorgelegten Konzepts für ein,,Zentrum für Gesundheit“ im Sinne einer
Nachnutzung des Ortenau Klinikums Oberkirch

Sehr geehrte Damen und Herren des Ortenauer Kreistags,
sehr geehrter Herr Landrat Scherer,
sehr geehrter Herr Keller,
wir danken Ihnen für die Bereitstellung von einhundert Millionen Euro für eine bürger-
orientierte medizinische Primärversorgung auch nach dem in der Agenda 2030
festgelegten Schließen der Krankenhäuser Ettenheirn, Kehl und Oberkirch. Dabei geht
es aus Sicht der Bevölkerung in Zukunft um ein schlüssiges medizinisches Angebot vor
Ort und nicht nur um die Nachnutzung einer Immobilie, wie es der Ausdruck
,,Nachnutzung” suggerieren könnte.

Es ist auch erfreulich, dass sich der Kreistag mit einem Konzept für ein „Zentrum für Gesundheit” in Oberkirch — und sicher künftig auch für Ettenheim und Kehl —
beschäftigt. Es sind aber keine überzeugenden Argumente zu erkennen, die eine
übereilte Entscheidung rechtfertigen. Es gibt gute Gründe, das vorliegende Papier
eingehend dahin zu überprüfen, ob langfristig wirklich eine patientengerechte
Primärversorgung auf chirurgischem und internistischem Gebiet umfänglich
gewährleistet werden kann inklusive einer Notfallpraxis. Dafür gibt es noch zu viele
offene Fragen, Anregungen und sachliche Kritik, für die wir um Verständnis bitten.
Wenn man das vorliegende Konzept analysiert und die bildliche Darstellung des
künftigen ,,Kern-Leistungsportfolios” (Seite 4) anschaut, bleiben unter dem Strich
gesichert nur folgende Bereiche:

– Stationäre Pflege SGB Xl inklusive Kurzzeitpflege
– Verlagerung der Praxis für Orthopädie und rehabilitative Medizin des MVZ
Ortenau GmbH in das bestehende Krankenhausgebäude
– Hebammenstützpunkt (bereits bestehend)

Alle weiteren Optionen, die im Konzept skizziert sind, stehen z. T. auf wackeligen Füßen
und sind mit vielen »soll, könnte, würde, erwünscht» verbunden und entbehren einer
soliden und verbindlichen Grundlage.

Nun zu den Leistungsangeboten im einzelnen:

1) Stationäre Pflege
Ob es für weitere 44 Pflegeplätze im Renchtal einen entsprechenden Bedarf gibt, können
wir nicht beurteilen. Sicher machen Pflegebetten Sinn im Hinblick auf eine
poststatîonäre Nachsorge und Kurzzeitp(lege.
In diesem Zusammenhang allerdings von einer »Weiterentwicklung” (Seite 5) des
Klinikum Oberkirch zu sprechen, ist euphemistisch. Im Kern geht es doch um eine
Umwidmung in ein Pflegeheim, wie es »die positiven Erfahrungen mit dem ehemaligen
Krankenhaus Zell a. H.“ belegen (Seite 5).
Es sei denn, es gelingt, zusätzlich ein wirklich gut fundiertes ambulantes
Leistungsangebot zu etablieren.

2) Genesungsbetten als Modell mit Pilotcharakter?
Übersetzt bedeuten solche Betten 1-Hotelaufenthalt mit pflegerischer (nicht ärztlicher)
Betreuung für Patienten, die durch das Raster Pflege/Kurzzeitpflege fallen. Ihre Zahl
dürfte sich in bescheidenen Grenzen halten und nur eine enge Nische füllen, wenn man
das klassische Beispiel (GF Keller) des verunfallten, alleinstehenden Motorradfahrers
mit zwei gebrochenen Armen in Betracht zieht.
Die Finanzierung soll „über einen Selbstzahleransatz zum Selbstkostendeckungsbeitrag
erfolgen”. Die Idee, diesbezüglich Bedürftige durch Spenden — z. B. aus dem Topf des
Fördervereins (Seite 11/12) — zu unterstützen, ist wohl kaum ernst gemeint. Wenn man
in einer »Evaluationsphase” (Seite 6) eines Pilotprojektes über 3 Jahre verlässliche
Informationen über den Bedarf erhalten will, müssen sich Betroffene unabhängig von
finanziellen Überlegungen entscheiden können. Für diese Zeit sollte der Kreis
verbindlich die Finanzierung übernehmen. Ansonsten wird das Ergebnis verzerrt.

3) Ambulante ärztliche Versorgung inkl. Notfallversorgung
Die Verlagerung des Rettungsdienststandorts an das geplante Zentrum ist derzeit
Wunschdenken, da die Verantwortlichen einen Ortswechsel bisher ablehnen.
Von einer .,Ansiedlung der Praxis für Orthopädie des MVZ Ortenau” zu reden,
verschleiert die Tatsache , dass diese Praxis schon längst angesiedelt ist und lediglich
ihren Ort wechselt.
Und sie wird auch nicht erst in Zukunft „als MVZ des Landkreises den Bereich der
fachärztlichen orthopädisch-chirurgischen Versorgung stärken” (Seite 6). So wie sie
jetzt arbeitet, wird das an einem neuen Ort nicht anders sein. Inhaltlich wird sich mit
dem Ortswechsel trotz halbseitig aufgeführter Leistungslitanei nichts ändern.
Alles andere bleibt vorerst Wunschdenken.
Offen ist auch die Ansiedlung einer allgemeinmedizinischen oder internistischen Praxis,
die dann auch die »Notfallpraxis” nach den üblichen Öffnungszeiten der Praxen
gewährleisten soll, also wochentags bis 22 Uhr und für jeweils drei Stunden an
Wochenend- und Feiertagen. Aufgrund des hohen zeitlichen Arbeitseinsatzes lässt sich
das nur in einer Gemeinschaftspraxis mit mindestens zwei, besser drei Kolleg*innen
stemmen, die zur Abdeckung der Notfallpraxis weitere kollegiale Hilfe benötigen.
Bevor dieser wichtige Baustein einer künftigen Versorgung personell und räumlich nicht
konkretisiert ist, sollte das Konzept in der jetzigen Form nicht verabschiedet werden
und erst recht nicht mit Baumaßnahmen eines MVZ 2 (siehe Anhang, Seite 1) begonnen
werden.
Raumbedarf und -planung müssen mit denen besprochen sein, die künftig in diesen
Räumen arbeiten müssen, so wie das für MVZ I (orthopädische Praxis) offenbar der Fall
war.
Es fragt sich, inwieweit die Geschäftsführung des MVZ Ortenau GmbH in die Planungen
einbezogen ist.
Falls die zuständige Kassenärztliche Vereinigung in Oberkirch keine Notfallpraxis
betreiben will (wovon mit Sicherheit auszugehen ist), hat der Landrat die Übernahme
der Organisation und der Finanzierung durch den Kreis in einer Besprechung im
Oberkircher Rathaus am 21.10.2020 zugesagt. Nun gilt es, die ärztlichen Partner dafür
zu gewinnen. Infrage kommen bereits in Oberkirch niedergelassene Mediziner
oder/und derzeit im Oberkircher Klinikum tätige Internisten. Grundvoraussetzung ist,
dass ihnen ein attraktives Angebot gemacht wird. Siehe dazu auch ,,keine Denkverbote”
am Ende des Schreibens.

4) Ambulantes Operieren
Unter keinen Umständen dürfen die beiden Operationssäle künftig völlig verwaisen,
nachdem der Kreis erst vor wenigen Jahren hierin investiert hat.
Die angesprochene Augenarztpraxis (Seite 9) versucht nach unseren Informationen
schon länger, in Oberkirch operieren zu können, was aber bisher an der
Geschäftsführung gescheitert sei.
Bis die Kooperation mit interessierten operativ tätigen Ärzten unter Dach und Fach ist,
sollte die derzeitige Kurzzeitchirurgie fortgeführt werden.
Dies zeigt einmal mehr, dass vor einer Schließung des Oberkircher Hauses klare
Regelungen getroffen sein müssen, die einen nahtlosen Übergang von der aktuellen
Versorgung zum Versorgungskonzept „Zentrum für Gesundheit Oberkirch” sicherstellen.

5) Freiberuflicher Hebammenstützpunkt
Nachdem die Oberkircher Geburtshilfe geschlossen wurde, war die Einrichtung eines
Hebammenstützpunktes ein wichtiger Beitrag. die vor- und nachgehurtliche Betreuung
und Versorgung von Schwangeren und jungen Müttern zu unterstützen.
Das auf Seite 9 genannte Projekt zur Nachsorge rund um die Geburt ist mit 150.000 Euro
Landesmitteln dotiert (baden online, 3.12.2019). Die Entwicklung liegt in der Hand der
KGK. Aus der Konzeptvorlage geht nicht hervor, wie weit dieses Projekt mittlerweile
gediehen ist und welche Konsequenzen sich daraus ergeben werden.

6) Weitere optionale Bausteine aus dem KGK-Prozess
Die Einführung eines sektorenübergreifenden Case-Managements ist kein Oberkircher
Spezifikum, sondern ein kreisweites Projekt, das eine Erwähnung am Rande verdient.
Wenn man die Liste ,,weiterer potentieller Leistungserbringer” liest, fragt man sich, wo
sie alle untergebracht werden sollen, speziell „weitere Haus- und
Fachärzte” (Seite 10). Diese Vision erscheint unausgegoren. Auch hier sollte ein
Beschluss nur gefasst werden, wenn konkrete Ansätze für weitere Arztpraxen vorliegen
und auch die bauliche Planung daran adaptiert ist.

7) Verschiedenes
Die Investitionssumme zur Realisierung des Zentrums für Gesundheit beläuft sich
geschätzt auf 9,2 Mio. Euro (Seite 14). Für die Nachnutzung der drei Kliniken Ettenheim
und Kehl sowie Oberkirch hat der Kreis 100 Mio. Euro bereitgestellt. Wenn man von
einer einigermaßen paritätischen Verteilung für die Standorte ausgeht, sollte für
Oberkirch noch ein erklecklicher Betrag zur Verfügung stehen. Gibt es Vorstellungen zu
dessen Verwendung?
Die künftige Zahl der Mitarbeiter wird auf ,,bis zu 100”, also dem aktuellen Stand
geschätzt (Seite 15). Hier hätte man sich eine detaillierte Aufstellung gewünscht, um
diese Zahl nachvollziehen zu können.
Chancen und Risiken werden von uns etwas anders eingeschätzt. Wir sehen vor allem
das Risiko, dass das Klinikum Oberkirch nach Etablierung von Pflegebetten,
Hebammenstützpunkt und Orthopädischer Praxis im Grunde genommen zum
Pflegeheim umgewandelt worden ist (siehe auch im Weiteren die Anmerkungen
zur 3-jährigen Bauphase), wenn nicht im Vorfeld verbindliche Regelungen für alle
angesprochenen Leistungsangebote getroffen werden.
Sehr erstaunt nehmen wir die Aussage zur Kenntnis, dass die Bauphase auf drei Jahre
geschätzt wird und in dieser Phase „kein Krankenhausbetrieb möglich ist” (Seite 17).
Wir weisen darauf hin, dass sämtliche Um- und Anbauten sowie Renovierungen der
letzten 30 Jahre immer unter laufendem Betrieb durchgeführt wurden. Es ist nicht
einzusehen, dass dies nun auch bei gutem Willen nicht mehr T1öglich sein soll.
Nach drei Jahren Stillstand ist es schwer vorstellbar, dass ausreichend Interessenten
gefunden werden, die das Haus mit Leben erfüllen sollen. Mit Verlaub etwas spitz
gefragt: Soll nach der Bauphase festgestellt werden, dass es für die Bewohner des
Renchtals auch ohne voll umfängliches Zentrum für Gesundheit geht, da man sich ja in
der Zwischenzeit an das Vakuum gewöhnt hat?

Mit keinem Wort werden die derzeit in Oberkirch betreuten Palliativbetten
angesprochen. Ihr Wegfall wird für die ortsnahe Versorgung ein schmerzlicher Verlust
sein. Unabhängig von rein finanziellen Überlegungen sollte hier nach einer Lösung
gesucht werden, auch künftig dieses Angebot aufrecht zu erhalten.

Zusammenfassung:
Das vorliegende Konzept ist grundsätzlich ein Schritt in die richtige Richtung. Aber es
beinhaltet, wie dargelegt, viele vage Aussagen, Lücken und Wunschdenken. Es fehlt an
vielen Stellen die Verbindlichkeit, die von der tatsächlichen Durchführung geplanter
Absichten überzeugen könnte.

Sehr geehrte Damen und Herren,
Bitte sehen Sie unsere Ausführungen nicht als Nörgelei, sondern als ernsthaften Beitrag
zu einer befriedigenden Lösung für die Bewohner des Renchtals. Auch wenn manche
von Ihnen im großen Ortenaukreis weitab von den hiesigen Problemen sind, bitten wir
um Ihr Verständnis für unser Anliegen, in Oberkirch langfristig eine adäquate
Versorgung zu etablieren, die den Wünschen der Bevölkerung gerecht wird.
Bitte verstehen Sie auch, dass sich nach den Erfahrungen der letzten Jahre ein gewisses
Misstrauen eingeschlichen hat, nachdem mehrere Versprechen der Geschäftsführung
nicht eingehalten wurden: Zu nennen sind die seit nunmehr Jahren versprochene und
nie ernsthaft betriebene Verlängerung der Öffnungszeiten der chirurgischen Ambulanz,
die versprochene Einrichtung einer Allgemeinchirurgie im Gegenzug zur Verlagerung
orthopädischer Operationen sowie die einmal geplante ambulante Rehaeinrichtung, die
nie über die Kinderschuhe, aus welchen Gründen auch immer, hinauskam.
Wir bitten Sie dringend, nicht übereilt eine Entscheidung für ein Konzept zu treffen, das
zuvor noch reifen muss und im jetzigen Stadium das Risiko einer schweren
Enttäuschung für die Bevölkerung in sich birgt. Wir würden uns freuen, wenn Sie sich
eingehend mit unseren Ausführungen beschäftigten und dazu beitragen, dass für dieses
Konzept mehr „Butter bei die Fische’ kommt.
Vielleicht kann ein Gremium zur Vertiefung des Konzepts beitragen, bestehend aus
Geschäftsführung, Kreisräten der von einer Schließung betroffenen Standorte, KGK
Mitarbeitern und sog. Stakeholdern.
Es soll schließlich keine Denkverbote geben.
Erlauben Sie daher abschließend, auf Denkanstöfše der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung hinzuweisen, die ein Gutachten bei der Uni Bayreuth in Auftrag
gegeben hatte mit der Frage, ob durch „Intersektorale Gesundheitszentren” (IGZ) und
„Erweiterte ambulante Versorgung” (EAV) bei Wegfall kleiner Krankenhäuser ein
Bindeglied zwischen stationärer und ambulanter Versorgung geschaffen werden kann.
Das Gutachten liegt mittlerweile vor und zeigt auch die Möglichkeit auf, in einer Art
Tagesklinik mit einer maximalen Aufenthaltsdauer von fünf Tagen gerade Patienten mit
häufigen und einfachen Erkrankungen wie Lungenentzündung, Herzschwäche,
Diabeteseinstellung usw. ärztlich/pflegerisch zu betreuen (siehe unten: Link zum
Artikel Deutsches Ärzteblatt). Grundlage solcher IGZ können MVZ sein. Die im IGZ
betreuten (überwiegend älteren Patienten) bedürfen keines technisch hochgerüsteten
Krankenhauses und entlasten somit die größeren Kliniken. Für solche IGZ gibt es noch
keine festgelegten Regeln, aber die Zukunft weist in ihre Richtung! Warum sollte der
Ortenaukreis sich aber nicht als innovativ und zukunftsorientiert in diesem Sinn
profilieren, wenn das der Landkreis Tuttlingen (siehe Link unten) kann. Das wird
Gespräche mit Krankenkassen, KV, Sozialministerium, Pfiegekräften, Ärzten u. a.
erfordern — und Zeit.
Aber die haben wir ja schließlich noch: Zehn Jahre bis 2030!
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Markus Bernhard, Dr. Meinrad Heinrich, Franz Müller
Vorstand Förderverein Ortenau-Klinikum Oberkirch e.V.

Hier noch einige interessante Links zum Thema ,,lntersektorale Gesundheitszentren”
KBV – IGZ-Gutachten
IGZ Gutachten PowerPoint-Präsentation (kbv.de)
DGIV-Konferenz „Intersektorale Gesundheitszentren“ (IGZ) am Beispiel Thüringen – DGIV
Wie Kliniken zu intersektoralen Gesundheitszentren werden | Die Techniker – Presse & Politik (tk.de)
Neue Versorgungsformen: Niederschwelliges Angebot (aerzteblatt.de)
Schmid_Andreas.jpg (4990×7046) (bmcev.de)

Veröffentlicht in Allgemein.