Wieder nahmen gut 50 Personen am Pfingstsamstag an der wöchentlichen Kundgebung des Runden Tischs Krankenhaus Oberkirch am Löwenbrunnen teil. Es gab auch einige Neuigkeiten aus der Aktionsgruppe zu vermelden. Denn in der vorausgegangenen Woche hatten Landrat Scherer und Geschäftsführer Keller der Ortenau-Kliniken eine Presse-Offensive hinsichtlich der Agenda 2030 gestartet: Christian Keller war von der Mittelbadischen Presse interviewt worden, Landrat Scherer in der Badischen Zeitung und BNN.
Interview Landrat Scherer in BZ und in BNN
Interview Geschäftsführer Keller in der Mittelbadischen Presse
Beide nutzten die Plattformen um auszudrücken, dass es zur Agenda 2030 keine Alternative gäbe. Beide sagten, ihrer Ansicht nach gäbe es natürlich genug Möglichkeiten der Folgenutzung für die kleinen zu schließenden Krankenhäuser, der Standort Achern stehe nicht in Frage. Wichtigste neue Information des Landrats: Noch vor den Sommerferien will er ein neues Finanzierungsmodell vorstellen. Dieses Finanzierungskonzept soll auf dem Modell basieren, das die Herren Muttach von der CDU und Kopp von der SPD vor der Krise im Februar vorgestellt haben. Diese Aussage zum Zeitpunkt überrascht, da der Landrat am 24. April im Gesundheits- und Klinikausschuss des Kreistags noch sagte, erst in einem Jahr über die Finanzierung sprechen zu wollen. Wie ist diese Kehrtwende zu begründen? Kann es ein, dass er doch Bedenken hat, dass das Land angesichts der Milliarden-Ausgaben und der zu erwartenden Einnahmeausfälle die die angedachten Landeszuschüsse kürzen muss? Es mehren sich auch die Zeichen zu einem grundsätzlichen Umdenken in der Krankenhauspolitik, zum Beispiel bei den Bundespolitikern Dr. Karl Lauterbach und Arbeitsminister Heil, und seit Neuestem auch durch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Und nicht zuletzt stehen ja im nächsten Frühjahr auch Landtagswahlen an.
Im Interview mit der Mittelbadischen Presse nahm Keller als Lehre aus der Corona Krise lediglich die Erfahrung mit, dass ein zusätzlicher Eingang zur Notaufnahme geplant werden müsse. Der Vorteil, in Kehl ein ganzes Haus für die Corona Patienten reservieren zu können, war ihm keine Erwähnung wert.
Auch wurde Geschäftsführer Keller gefragt, wie hoch er die Wahrscheinlichkeit einschätzt, dass die Agenda nicht umgesetzt und das Klinikum stattdessen privatisiert wird. Anstatt die Frage konkret zu beantworten, gibt er folgendes Statement:
Zitat: „Ich habe immer gesagt: Entweder Sie privatisieren jetzt, bevor Sie ein paar Hundert Millionen Euro in die Hand nehmen oder gar nicht mehr. Auf keinen Fall aber, wenn Sie gebaut haben. Den Fehler haben viele Kommunen in Deutschland gemacht. Sie haben für viel Geld gebaut und dann gemerkt, es geht nicht. Dann kam die Privatisierung und die Gebäude im Wert von Hunderten Millionen Euro gingen für wenig Geld an private Klinikbetreiber.“
Beschreibt der Geschäftsführer nicht gerade das Szenario der Agenda 2030? Im Juli 2018 wurde die Agenda auf der Basisberechnung von 504 Mio. Euro beschlossen, im Januar waren es dann – immer noch ohne konkrete Bauplanung – schon 921 Mio. (80% Steigerung!). Im Jahr 2030 soll dann alles fertig sein. Was wenn dann neben einem großen Finanzloch auch noch das entsprechende Personal fehlt? Keller bemängelt im Interview an anderer Stelle selbst, dass gerade Pflegekräfte in den Ortenau-Kliniken leider nicht besonders gut bezahlt werden, da der Kreis nur Tariflöhne zahlen kann. Und erinnern wir uns an die Ängste der Pflegekräfte um ihren Arbeitsplatz, die den Satz geprägt haben: „Wir haben mehr Angst vor Herrn Keller als vor Corona!“.
Mit der Schließung der kleineren Kliniken, wie Ettenheim, Kehl und Oberkirch durch den Kreis könnte eine private Übernahme einfacher und geräuschloser vonstattengehen: Im Falle einer Übernahme durch private Klinikbetreiber müssten diese sich dann nicht mehr selbst die Hände mit den Schließungen schmutzig machen und den Zorn der betroffenen Bevölkerung auf sich ziehen.
Interessant ist die Auswertung des CLINOTEL-Verbunds, einem bundesweiten Krankenhausverbund, der unter anderem Patientenbefragungen zur Qualitätssicherung durchführt. Dem Runden Tisch liegt die Auswertung der Patientenbefragung aller Ortenau-Kliniken aus den letzten Jahren vor, was interessante Vergleichsergebnisse zu Tage fördert: Die Gesamtbewertung steht unter der „Qualitätsaussage: je kleiner desto besser“! Alle kleinen Kliniken, Ettenheim, Oberkirch, Wolfach, Kehl, liegen 2019 vor den anderen Kliniken. Bei den Kriterien, Pflege, Organisation, Hotellerie, Essen belegte das Oberkircher Krankenhaus jeweils den ersten Platz; bei den Behandlungserfolgen, Schmerzbehandlung und Sauberkeit unter den Top Drei. Bei den Ärzten schnitt das Oberkircher Haus nicht so gut ab, hier macht sich die Destruktionspolitik des Kreises bemerkbar. Alles in allem deutliche Ergebnisse für eine außerordentliche Patientenzufriedenheit. Dieses Ergebnis steht diametral zur Aussage, kleine Häuser sind schlechter als große!
Gesundheitsökonomen und die Befürworter der Agenda 2030 vertreten die Ansicht, dass nur ein großes Haus ein gutes Haus sei. Zitat aus dem Acherner Gemeinderat: kleine Häuser sind ein Sicherheitsrisiko! Gleichzeitig widersprechen sie sich selbst durch den geplanten Neubau in Achern, mit etwas über 200 Betten ein kleines Haus, das außerdem mit seiner Nähe zum Nachbarlandkreis die von der Ortenauer Bevölkerung erwartete Standortnähe nicht abdeckt.
Ein Fehlgriff war die Verlegung der Geburtshilfe nach Achern. Es wurde viel Geld ausgegeben (Umzugs und Umbaukosten in Achern und Offenburg) und nur wenig erreicht: Werdende Mütter gehen offensichtlich anstatt nach Achern lieber in die Krankenhäuser nach Offenburg, Freudenstadt und Baden Baden.