Ende Januar 2020 wurde aus der Verwaltung des Ortenaukreises bekannt, dass der Investitionsbedarf für die Agenda 2030 von ursprünglich errechneten 504 Mio. € auf mindesten 921 Mio. € (bei Einbeziehung weiterer infrastruktureller Maßnahmen auf 1,3 Mrd. €) steigen wird. Anfang Februar hatte sich daraufhin unser Mitstreiter des Runden Tischs, Bernd Honsel, ehemaliger langjähriger Syndicus in einem der größten deutschen Versicherungsunternehmen, die Berechnungen des Landratsamts, die eine der Grundlagen des Agenda-Beschlusses vom Juli 2018 war, genauer angesehen.
Hinsichtlich der Ansage von Landrat Scherer noch vor der Sommerpause ein neues Finanzkonzept für die Agenda 2030 vorzulegen, hier die Auswertung von Bernd Honsel:
Überholte Annahmen, fehlende Kosten, fiktive Berechnungsgrundlagen
Die Klinikverwaltung beruft sich zur Begründung des Finanzierungsbedarfs und die Erhöhung der Kreisumlage immer noch auf das Gutachten Lohfert & Lohfert, das in der Fassung vom 19.4. 2018 auf der Homepage der Agenda 2030 veröffentlicht ist.
Dieses Gutachten diente der Vorbereitung der Strukturentscheidung. Es enthält keine Finanzplanung und ist durch die in der Zwischenzeit getroffenen Entscheidungen überholt.
Die optimistische Bewertung beruht auf unvollständigen und überholten Annahmen.
Diese Berechnung enthält keine Restrukturierungskosten. Mit der Schließung von Krankenhäusern ist eine deutliche Abschreibung der vorhandenen Gebäude und Betriebsausstattung verbunden. Diese Abschreibungen sind nicht in das Gutachten eingeflossen. Es heißt hierzu:
- Restbuchwerte der aufgegebenen Standorte werden aufgrund der avisierten
Nachnutzung derzeit nicht abgeschrieben
• Die AfA verbleiben an den Standorten
• Eine komplette Abschreibung der Restbuchwerte mindert das kumulierte Betriebsergebnis der Varianten 1, 2a
und 2b ohne jedoch die Variantenentscheidung zugunsten des Null-Szenarios zu verbessern
Nur unter den Risikofaktoren wird hierauf hingewiesen:
Hohe Bau und
Investitionskosten
Nachnutzungskonzepte und
Restbuchwerte als Risiko
Vollumfängliche
Effektrealisierung nach 2030
Die Investitionen für die zugesagte Nachnutzung sind in der Kalkulation nicht enthalten. Geht die Klinikverwaltung davon aus, dass ein anderer, etwa die niedergelassenen Ärzte , für die Nachnutzungsinvestitionen aufkommt? Das sind Investitionen die von Kreis aufzubringen und in der Kalkulation des künftigen Finanzbedarfs zu berücksichtigen sind!
Das Gutachten rechnet für das Jahr 2030 mit Abschreibungen zwischen 27 und 37 Mio € . Das Investitionsvolumen von bis zu 1.300 Mio € war seinerzeit noch nicht in der Planung.
Allein der zusätzliche Abschreibungsbedarf auf diese Investitionen ist höher als der in der in dem Gutachten ermittelte Gewinn (in der Tabelle fälschlich mit einem Minuszeichen ausgewiesen). Da ein Großteil der Investitionen die Apparate betrifft, die relativ schnell veralten, kann man den Abschreibungsbedarf grob mit 8-10% schätzen. Bezogen auf ein Investitionsvolumen von 1,3 Mrd € wären das 104-130 Mio €. Dieser Betrag kann sich durch Fremdvergabe verringern. Es bleibt aber ein permanenter Zuschussbedarf.
Unklar ist auch die Aufbringung der Investitionsmittel. Das Klinikum wird diese Mittel nicht aufbringen können.Eine vollständige Fremdfinanzierung ist unrealistisch und würde weitere ungeplante Finanzierungskosten auslösen. Sollen die Kommunen über eine weitere Erhöhung der Kreisumlage hiermit belastet werden? Wie ist das politisch zu vermitteln in Gemeinden, die so die Abschaffung des eigenen Krankenhauses finanzieren müssten?
Was ist wenn die Landesmittel nicht oder nicht zeitgerecht fließen. Sollen auch hierfür die Gemeinden in die Pflicht genommen werden.
Für seinen Vorschlag, Oberkirch vorzeitig zu schließen, bezieht sich LR Scherer auf diese Grafik:
Die Berechnungsgrundlagen dieser Grafik sind nicht belegt und nicht plausibel. Sie ist reine Fiktion.
Verräterisch ist die Fußnote 1 (so klein geschrieben dass man es kaum lesen kann):
1) Der Migrationsverlauf basiert auf medizinischen und ökonomischen Prämissen und spiegelt die Empfehlung der Gutachter wieder.
Es fehlt also an einem nachvollziehbaren Zahlenwerk.
Die Grafik ist so zu lesen, dass nach Schließung Gengenbach ab 2021 ein nahezu ausgeglichenes oder sogar positives Betriebsergebnis erzielt wird. Der aufgelaufene Betriebsverlust soll sich ab diesem Zeitpunkt nicht mehr erhöhen. Also
- Betriebsschließungen ohne Abfindung der Mitarbeiter, Abschreibungen und Nachnutzungskosten
- Umzug ohne zusätzliche Kosten für Umzugsfirmen
- Investitionen ohne erhöhte Abschreibungen
Die Grafik enthält im Jahr 2020 keine kostenrelevanten Maßnahmen. Allein die Schließung von Gengenbach soll die dort dargestellte nachhaltige Ergebnisverbesserung von 20 Mio € jährlich bringen.
Erfahrungsgemäß führen Restrukturierungen zunächst zu Verlusten, bevor Einsparungseffekte eintreten. Neubau und Umzug Achern und Offenburg werden ohne Belastung des Betriebsergebnisses nicht möglich sein. Wie haben sich die Gutachter die Schließung der alten Kliniken , Verlagerung der Medizintechnik und Interims-Unterbringung der Patienten ergebnisneutral oder sogar mit positivem
Ergebnisbeitrag vorgestellt?
Tatsächlich wird unter Berücksichtigung der geplanten Maßnahmen der Verlauf der kumulierten Ergebniskurve bei den Varianten 1-3 weit unterhalb der dargestellten Status Quo Kurve liegen.
Die Grafik erinnert an eine Trump’sche fake and fiction Story!
Die Klinikverwaltung sollte kurzfristig vor der Beratung über die Erhöhung der Kreisumlage in der Lage sein, eine an den aktuellen Planungsstand angepasste Berechnung des künftigen Finanzierungsbedarfs vorzulegen und die künftigen Auswirkungen auf die Kreisumlage darzustellen. Dabei sollte auch sauber getrennt werden, welche Ausgaben Teil des Neubauprogramms sind (und aktiviert werden können) und welche Kosten im Betriebsergebnis zu erfassen sind.
Die Berufung auf das veraltete, unvollständige und teilweise frei erfundene Gutachten Lohfert & Lohfert genügt nicht.
Bernd Honsel,
Oberkirch 5.2.2020